Mama mit Kind vor U-Bahn

Interview: Mein Papa kommt / Meine Mama kommt

Die großen Kinder meines Partners leben mittlerweile in einer anderen Stadt. Um sie zu sehen, muss also immer gereist werden. Da er sich nicht gut bei den Kindern einquartieren kann, haben wir nach Alternativen gesucht und sind dabei auf die Initiative „Mein Papa kommt / Meine Mama kommt“ gestoßen. Seit über zwölf Jahren engagiert sich das gemeinnützige Unternehmen für multilokale Trennungsfamilien, d.h. für Familien, die nach einer Trennung oder Scheidung nicht mehr am gleichen Ort leben. Hier haben Papas, und auch Mamas, die Möglichkeit bei Gastgeber*innen in der (neuen) Heimatstadt der Kinder zu übernachten – teilweise auch zusammen mit den Kindern. Die Gastgeber*innen sind Ehrenamtliche, die ihren Wohnraum zum Zwecke getrennt lebender Eltern und zum Wohle ihrer gemeinsamen Kinder zur Verfügung stellen. Ganz nach dem Motto:

„Getrennte Wege erfordern gemeinschaftliche Lösungen.“

Ich habe mit Sandra Pastore, die für die Kommunikation und das Fundraising in der gemeinnützigen GmbH zuständig ist, gesprochen und mich genauer erkundigt:

Lieben Dank, Sandra, dass du dir die Zeit nimmst uns eure Initiative vorzustellen. Wie bist du zu „Mein Papa / Meine Mama kommt“ gekommen und was genau sind deine Aufgaben?

Gerne. Schön, dass du „Mein Papa / Meine Mama kommt“ gefunden hast und die Initiative vorstellen möchtest. Ich kam Ende 2016 dazu. Ich war zu der Zeit in-between Jobs und auf der Suche nach einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Ich hatte mich während des Jahres in der Flüchtingshilfe engagiert: Kleiderspenden aussortiert, in der Küche Gemüse geschnitten, Essen verteilt und Sprachkurse gegeben. Das hat mir viel Freude bereitet, die Arbeit war so konkret und abends kam ich immer mit einer großen Dankbarkeit nach Hause. Ich suchte nach einem weiteren Ehrenamt, das meine langjährige Erfahrung im Marketing und Vertrieb gut brauchen könnte. Und so kam ich zu „Mein Papa kommt / Meine Mama kommt“. Die Initiative hat sofort mein Herz berührt. Anfang 2018 ging eine Kollegin in Elternzeit und ich übernahm ihre Aufgaben. Die Kollegin hat inzwischen ihre berufliche Karriere in einem anderen Unternehmen fortgesetzt und ich bin geblieben. Wir sind ein sehr kleines gemeinnütziges Unternehmen, da lege ich überall Hand an, wo ich kann und wo meine Expertise gefragt ist. Zu meinen Hauptaufgaben gehört heute die Kommunikation, das Marketing und Fundraising.

Wie seid ihr als Team aufgestellt und welcher Part macht die Hauptarbeit aus?

Wir haben zwei Vollzeit-Mitarbeiterinnen, die die Mamas und Papas und das Netzwerk an ehrenamtlichen Gastgeber*innen betreuen. Die Initiatorin und Gründerin Annette Habert  führt das Unternehmen ehrenamtlich. Dieser Teil, also die Betreuung, aber auch das Matching zwischen Eltern und Gastgeber*innen, macht unsere Hauptarbeit aus. Ende 2020 zählten wir 1.895 Gastgeber*innen, die sich bei uns engagieren und 1.477 registrierte Papas und Mamas. Die gilt es zu betreuen und begleiten.

Wie läuft der Prozess des Matchings genau ab?

Gastgeber*innen können sich online bei uns melden und anschließend nehmen wir sie nach einem ausführlichen Telefongespräch in unserer Datenbank auf. Im Gespräch gehen wir auf Fragen der Gastgeber*in ein und besprechen das Raumangebot, ob z.B. die Kinder auch dort übernachten können und das Elternteil auch tagsüber Zeit vor Ort mit den Kindern verbringen könnte. Genauso verhält es sich mit den Papas und Mamas, die nach Gastgeber*innen am Wohnort ihrer Kinder suchen. Die persönliche Kontaktaufnahme mit den Gastgeber*innen und den getrenntlebenden Eltern ist sehr wichtig, damit eine vertrauensvolle Basis entsteht und individuelle Bedarfe berücksichtigt werden können.

Sobald eine Anfrage eines Papa oder einer Mama eingeht, schauen wir in unserer Datenbank, ob es schon eine*n passende*n Gastgeber*in gibt und nehmen mit diesem Kontakt auf. Wenn der/die Gastgeber*in zustimmt, wird der Papa oder die Mama vermittelt. Wir empfehlen immer ein erstes unverbindliches Kennenlernen. Entweder vorab telefonisch, im Video-Call oder persönlich vor Ort gegebenenfalls direkt mit erster Übernachtung. Und falls wir noch keinen Gastgeber*in am Wohnort des Kindes in unserem Netzwerk haben, dann machen wir uns auf die Suche. Nach dem ersten Kennenlernen nehmen wir nochmals Kontakt auf, um nachzuhorchen, wie es lief. In der Regel passt es gut und wir müssen keine neuen Matching-Partner finden. Ist das Matching also erfolgreich, dann reservieren wir den/die Gastgeber*in, d.h. der/die Gastgeber*in wird nicht an weitere Eltern vermittelt. Das ist uns besonders wichtig, denn Kinder sollen ihre Papas bzw. ihre Mamas nicht als temporär Obdachlose wahrnehmen, die immer wieder an neuen Orten auf Besuch kommen. Es soll ein Erinnerungsort für die Kinder geschaffen werden – ein wechselnder Schlafplatz wäre hierbei nicht förderlich. 

Mit den Gastgeber*innen vereinbaren wir mindestens zwei Nächte im Monat, in denen sie ein Bett zur Verfügung stellen sollten. Wir stehen als Ansprechpartner natürlich weiterhin zur Seite, falls Bedarf besteht, klinken uns aber aus dem weiteren Kontakt zwischen Gastgeber*in und Elternteil aus. Die beiden Parteien können nun ganz individuell ihre Besuchszeiten planen, nach Wunsch die Kinder vorstellen und kennenlernen und ihre Beziehung zueinander aufbauen.

Neben der Vermittlung von Übernachtungsmöglichkeiten bietet ihr noch weitere Unterstützung an. Welche ist das?

Wir vermitteln auch Spielzimmer, in denen sich das Elternteil, das nicht am Wohnort seiner Kinder lebt mit den Kindern aufhalten kann. Meistens stellen Kindergärten und Familienzentren die Räumlichkeiten zur Verfügung, da diese in der Regel am Wochenende, wenn das Elternteil sie benötigt, leer stehen. Die Zimmer sind außerdem kindgerecht gesichert, ungestört und verfügen über viele Spielmöglichkeiten. Für die Elternteile ist diese konsumfreie Umgebung ideal. Sie können aus finanziellen Gründen nicht in jeder Besuchszeit Entertainment (Kino, Freizeit- und Tierparks, Schwimmhallen, etc.) bieten (man bedenke hierbei die sowieso schon regelmäßig anfallenden An- und Abreisekosten und ggf. Unterhaltsleistungen) und wollen auch nicht ausschließlich der Freizeitpapa oder die Freizeitmama sein.

Die dritte Säule, die wir bedienen, ist die pädagogische. Zum einen stellen wir Infomaterialien zusammen, die wir unseren Mitgliedern zur Verfügung stellen. Zum Beispiel in Form eines monatlichen Elternbriefes, in dem es speziell darum geht, wie Verbundenheit mit dem Kind über die räumliche Distanz gestaltet und erhalten werden kann, wie Umgangstage aussehen und auch wie die Elternteile mit der Situation der Entfernung umgehen können. Zum anderen gibt es das Elterncoaching, dass von unserer Gründerin Annette Habert als ausgebildete Pädagogin durchgeführt wird. Sie begleitet mit ihrem langjährigen Erfahrungswissen getrennt lebende Eltern während der Trennungsverarbeitung bis hin zur Gestaltung einer glücklichen Nachtrennungsfamilie. Jedes Elternteil muss individuell mit der Trennungs- und Verlusterfahrung umgehen und hat eigene Herausforderungen zu bewältigen. Das Elterncoaching ist aber keine Trennungsberatung. Es geht viel mehr darum, sich miteinander auseinander zu setzen, um zum Wohle des Kindes zu verstehen, wie nach einer Trennung als Paar die Kooperation auf Elternebene weiterhin funktionieren kann. Damit beide Elternteile die wichtigsten Garanten für Stabilität, Verlässlichkeit und Geborgenheit im Leben eines Kindes bleiben. 

„Kinder mit zwei Elternhäusern stehen im Zentrum unseres Handelns.“

Wie finanziert ihr euch?

In erster Linie durch Fördergelder. Die Initiative wurde vier Jahre durch eine Stiftung gefördert. Seit Anfang 2020 beteiligen sich das Bundesfamilienministerium und das Sozialreferat der Landeshauptstadt München mit einer Festbetragsfinanzierung zu 70% an unseren Kosten. Den Rest versuchen wir durch jährliche Spenden und Elternbeiträgen zu decken. Unsere Mitglieder, also die Papas und Mamas, die unser Angebot nutzen, bezahlen 15€ monatlich.

Wie kann man euch unterstützen?

Wenn es den Platz und die Möglichkeit gibt, Wohnraum z.B. in Form eines Zimmers mit Bett(en) zur Verfügung zu stellen, dann am Besten indem man Gastgeber*in wird. Auf unserer Webseite kann man direkt Kontakt zu uns aufnehmen. Auch, wenn man ein Spielzimmer stellen möchte. Das ist übrigens auch privat möglich. Es gibt deutschlandweit aktuell 50 Kindergärten, Familienzentren und Elterninitiativen, die uns mit ihren Spielzimmern unterstützen. 

Außerdem ist jede Hilfe willkommen, um unser Projekt noch bekannter werden zu lassen oder uns mit Expertise zu begleiten. Zur Zeit suchen wir dringend Unterstützung, um unseren Instagram-Kanal aufzubauen. Promotion kann natürlich auch analog stattfinden: Infomaterial in Form von Flyern können auf unserer Webseite heruntergeladen oder auch per Post angefordert werden.

Und natürlich helfen uns auch Geldspenden. Vor einigen Jahren haben wir außerdem die Spendenaktion  „Scheidungsringe für Kinder“ gestartet, die Menschen dazu bewegen möchte, ihren abgelegten Ehering oder anderen Schmuck für Kinder mit zwei Elternhäusern zu spenden.

Vielen Dank für deine Zeit! Ihr habt wirklich eine tolle Initiative auf die Beine gestellt. Ich hoffe, dass ihr noch viele weitere Unterstützer*innen findet.

Bisher hat mein Partner das Angebot noch nicht genutzt. Falls es dazu kommt, schreibe ich dazu bestimmt einen Erfahrungsbericht. Geschichten und Erfahrungen anderer Elternteile, die pendeln, findet man auf der Webseite. Sie geben Kraft und inspirieren. Auch auf dem Blog kann man sich zudem inspirieren lassen.

Beitragsbild von Martin Schuster

Kategorien Familienleben

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Mit 2 bis 4 Kindern pendele ich Patchwork-bedingt zwischen Rostock und Berlin. Ich mag Überraschungen, Geburtstage und Abwechslung sowie das Reisen sehr. Für ein gutes Leben brauche ich - neben Liebe und Gesundheit - offene, auch hitzige, aber respektvolle Diskussionen, Menschen, die zum Nachdenken anregen und das eigene Meinungsbild ins Wanken bringen und eine immer toleranter werdende Gesellschaft.

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