Friede den Hühnern, Krieg den Mästern!

Ein starkes Zeichen gegen Massentierhaltung und für eine Agrarwende zu setzen, sind erklärtes Ziel des Bündnisses Wir haben es satt. Am vergangenen Samstag umzingelte während eines viertägigen Camps im niedersächsischen Wietze nahe Celle ein rund 7.000köpfiger friedlicher Protest einmal komplett Europas größten Geflügelschlachthof. Angekettet hat sich keiner der Aktivisten. Aber das war auch nicht nötig. Warum Masse nützlicher ist als Radikalität.

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Auf der Fahrt nach Wietze, einem 8.000-Einwohner-Ort im Landkreis Celle, entdeckt man am Hannoveraner Hauptbahnhof an diesem Samstag reichlich Polizei in voller Montur. Sie erwarten aber nicht Demonstranten aus oder nach Wietze, wo eine Schlachthofumzingelung geplant ist, zu der das Bündnis Wir haben es satt mit 3.000 Protestlern rechnet. Die Polizisten warten nur auf Fußballfans. In Wietze hingegen sieht man kaum Polizei und die paar Uniformierten, die man sieht, scheinen von keinerlei gewaltsamer Auseinandersetzung auszugehen. Denn das Protestcamp in Wietze, das dort bereits am Donnerstag begonnen hatte, versammelt ein friedliches, vor allem „ein breites Bündnis“ wie Jochen Fritz, Pressesprecher von Wir haben es satt betont.

Die Liste der Forderungen, die das Bündnis stellt, vereint die Interessen seiner 27 Partner, wozu unter anderem der BUND, Brot für die Welt, Misereor, demeter und der Deutsche Tierschutzbund zählen: Es soll kein Fleisch mehr von Tieren, die mit Gensoja gefüttert und mit Antibiotika vollgepumpt wurden, in den Verkauf gelangen. Megaställe, in denen die Tiere zusammengepfercht werden und leiden, sollen nicht mehr subventioniert, stattdessen bäuerliche Betriebe wieder stärker gefördert werden. Bereits im Januar dieses Jahres hatten in Berlin 25.000, in München im Juli 8.000 Bürgerinnen und Bürger gegen Agrarindustrie demonstriert. Als größter Geflügelschlachthof ist Wietze dafür seit seinem Bau 2011 ein Symbol: für Massenproduktion, für industrielles Töten von Tieren, dafür, dass immer schneller und rücksichtsloser aus tierischem Leben ein reines Produkt gemacht wird. Wer sich der Anlage nähert, kann das eiskalt Effiziente, das Industrielle sehen: Stacheldrahtzäune, Baracken und Viehtransporter, vier steil aufragenden Schornsteine und Männer auf dem Hof in martialischer Kluft mit ihren Wachhunde, in der Luft ein Hauch von Desinfektionsmittel.

In den sozialen Netzwerken wurde allerdings in den Tagen zuvor der Vorwurf laut, der Aktion mangele es an Radikalismus, sie sei zu „peacig“ um für die Forderung einer Agrarwende die nötige Aufmerksamkeit zu kriegen. Und der Anblick des Wietzer Protestcamps unterstreicht vorerst diesen Eindruck: Slogans wie „Vegetarisch statt barbarisch“ und „Ich bin so wütend, ich habe sogar ein Hühnerkostüm angezogen!“ sind zwar kreativ, aber nicht radikal. Von „Friede den Hühnern, Krieg den Mästern!“, einem weiteren Spruch auf einem Transparent, ist wenig zu spüren. Es ist nicht politisch radikal, wenn sich erwachsene Männer und Frauen Hühnerkostüme anziehen oder sich Handschuhe wie Hahnenkämme an die Mütze nähen. Es ist nicht radikal, wenn Demonstranten aufgefordert werden, eine „Protestwelle“ aus der Hocke zu machen oder die Behälter zum Spendensammeln der Initiatoren „mit Liebe zu füllen“. Anders als beim Bau des Geflügelschlachthofes Wietze im Jahr 2011 kettet sich an diesem Samstag niemand an halb eingegrabene Metallfässer.

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Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und einer der ersten Redner an diesem Samstag in Wietze weiß um den Vorwurf fehlender Radikalität. Im Namen der 27 Bündnispartner jedoch hält er entgegen: „Unsere Radikalität liegt nicht in einer radikalen Aktion, sondern darin, dass ostfriesische Milchbauern neben Veganerinnen aus Hannover demonstrieren, Tierschützer aus Göttingen neben Biobauern. Die Vielfalt ist unsere Stärke und die müssen wir heute auf die Straße bringen!“

Die Demonstranten sind nicht radikal, aber es sind viele. Und das ist der entscheidendere, der wichtigste Punkt: Zurückzukehren zu ökologischer Landwirtschaft und sich abzuwenden von Massentierhaltung, Megaschlachthöfen und Agrarindustrie ist der Appell. Und der wird sehr wahrscheinlich nur dann bei Politik und Wirtschaft Gehör finden, wenn Aktionen wie in Wietze nicht das Bild einer kleinen Randgruppenversammlung erwecken, die auf Randale aus ist, sondern das einer breiten Mehrheit. Eine Mehrheit wie bereits in Berlin und München.

Wenn man Georg Janßen glauben darf, dann zeigt das Protestcamp, dass sich in den letzten Jahren bereits viel getan hat, dass „die Gesellschaft schon längst weiter ist, als viele Politiker denken.“ Wie weit „weiter“ eigentlich ist, wirft aber noch Fragen auf; darüber, wo wir stehen und wie viel noch getan werden muss. Zu einem Beitrag von NDR1 über das Protestcamp in Wietze postet unter dem Nicname „Nüstern“ in der Mediathek: „Wann werden die Menschen endlich verstehen, das Fleisch ein essentieller Bestandteil unserer Ernährung ist. Dieses ist schon zeit Zehntausenden von Jahren so und wird sich auch nicht ändern, bloß weil ein paar naiv-grüne Betroffenheitshausierer und Berufsempörte der Bevölkerung ihren Willen oktroyieren wollen (sic!).“ – Eine Sorte beleidigter Entrüstung, die nicht nachvollziehbar erscheint, wenn knallhart Zahlen auf dem Tisch liegen: Im Wietzer Schlachthof von Celler Land Frischgeflügel werden täglich rund 200.000 Hühner geschlachtet. Für insgesamt 420.000 Hühner pro Tag ist die Anlage ausgelegt. Schon bei der derzeitigen Auslastung jedoch wird am Standort so viel geschlachtet, wie in fünf Mastställen produziert werden muss. Die Maximalauslastung, 135 Millionen Tiere jährlich, zu erreichen, dürfte kein Problem sein, denn Fakt ist, dass kein anderer Zweig der Massentierhaltung in den letzten Jahren so stark gewachsen ist, wie die Geflügelmast. Und deshalb braucht es mehr Aktionen wie das Protestcamp in Wietze. Weil nicht allein Politik und Wirtschaft eine klare Ansage brauchen, sondern weil die Verantwortung auch beim Endverbraucher wie „Nüstern“ liegt. Bei Menschen, die daran erinnert werden müssen, dass Tiere zu essen, und das mit der verfehlten Überzeugung, das müsse von Natur aus so sein, keine Massentierhaltung entschuldigt. Dass kein gustatorisches Bedürfnis der Welt bararische Haltungs- und Tötungsbedingungen rechtfertigt. Es braucht Aktionen wie Wietze, die deutlich machen, dass die Ablehnung von Massentierhaltung eben nicht das politische Wochenend-Hobby einiger weniger ist, sondern die starke Empörung vieler. Es braucht Aktionen wie Wietze, die statt der erwarteten 3.000 Teilnehmer mehr als das Doppelte an Menschen versammelt, die den Geflügelschlachthof einmal komplett umzingeln.

Und das auch im Hühnerkostüm, wenn es sein muss, Hauptsache es kommen viele.

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Fotos von Sarah Winter, vielen Dank!
Daniel ist Gastautor bei Green Friday. Vielen Dank für den Text, Daniel!

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